Unterstützung des schriftlichen Ausdrucks durch die Arbeit mit Textbausteinen

Von Günther Nieberle

Es ist nicht verwunderlich, dass Schülerinnen und Schülern mit LRS (Lese-Rechtschreibschwäche) bzw. Legasthenie häufig auch Schwierigkeiten mit der Textproduktion im Fach Deutsch haben. Zum einen treten in Kombination mit der schriftsprachlichen Störung/Schwäche Beeinträchtigungen der Aktivsprache wie eine verzögerte Sprachentwicklung, Satzbildungs- und Wortschatzprobleme auf, was sich schulisch in schriftlichen Arbeiten widerspiegelt. Hinzu kommt ein psychischer Teufelskreis: Aufgrund von Misserfolgserlebnissen, die sich auf der Grundlage der Gesamtheit der Zugangsprobleme einstellen, wird die Befassung mit Schrift möglichst gemieden, was zu neuem Versagen führt.

Die Vermeidung „schwieriger“ schriftlicher Aufgaben wirkt sich weniger bei erzählenden, sachbezogenen und appellierenden Texten aus, die etwa bis zur sechsten Jahrgangsstufe im Mittelpunkt des Aufsatzunterrichts stehen. In den höheren Klassen dagegen wird es immer schwieriger, zufriedenstellende Leistungen im Fach Deutsch zu erbringen, weil eine sprachlich gefasste Vorstellung von den Themen und damit der persönliche Bezug zu den Aufgabenstellungen fehlt.

Leistungsrelevante Probleme in der Mittel- und Oberstufe

Abweichungen in den folgenden Teilleistungen erschweren Schülerinnen und Schülern die Textproduktion im Fach Deutsch:

Lesefähigkeit:

Vermeidung des Lesens, verlangsamtes Lesetempo, Schwächen in der Lesetechnik mit mangelhafter Leseprozesskontrolle, abgehacktes Lesen, Problemen mit der Integration von Hypothesen in den Leseprozess

Rechtschreibkompetenz:

(Rest-)Rechtschreibprobleme von unterschiedlichem Schweregrad, manchmal teilweise kompensierte Legasthenie/LRS, dann oft keine größeren Auffälligkeiten bei häufigen deutschen Stammschreibweisen; Schwächen in Groß-/Klein- und Zusammen/Getrenntschreibung; Probleme mit Ausnahmeschreibweisen, Fremdwörtern, Unterscheidung s/ß, Auseinanderfallen von Kompetenz und Performanz unter Zeitdruck

Schriftlicher Ausdruck:

Oft gekennzeichnet durch grammatische Schwächen; Wortschatzarmut, Verwendung umgangssprachlicher Ausdrücke

Für (Schrift-) Sprache unbegabt?

Manche Schülerinnen und Schüler mit den beschriebenen Problemen neigen dazu, ihre Schwierigkeiten einer Variante von Begabung zuzuschreiben, die in ihrer einfachsten Fassung lautet: „Für Deutsch bin ich unbegabt“.Eine solche Selbstattribuierung der Ursachen für die schlechten Noten im Fach Deutsch führt dazu, Lernanstrengungen, die wegen der beschriebenen Schwächen gerade besonders nötig wären, eher zu vermeiden.

Die Befangenenheit im Umgang mit Texten bleibt oft bis in die gymnasisale Oberstufe und darüber hinaus erhalten, und zwar auch bei Schülern, die eine (erfolgreiche) Förderung erhalten haben und ihre Leistung im Lesen/Schreiben ausweislich der Diagnostik mit standardisierten Tests deutlich verbessern konnten. Mit der Kompetenz wächst zwar das Vertrauen der Kinder/Jugendlichen in die eigene Leistungsfähigkeit, Selbstzweifel schwinden. Dennoch bleibt vielfach eine Distanz zur Schrift, insbesondere zu literarischen und journalistischen Texten.

Den Schülern scheinen die Themen im Literaturunterricht wenig Bezug zur Realität ihres Lebens zu haben. Sie empfinden die Anforderungen zu abstrakt, wenn “zentrale Fragen menschlicher Existenz in literarischen Werken“ (Lehrplan Deutsch G8 Bayern) aufgeworfen werden. Sie fühlen sich unsicher und hilflos beim Verfassen eines Arguments, beim Identifizieren einer Textsorte oder bei der Analyse einer Dramenszene. In ihrer Selbstdarstellung klingt das oft so: „Hab halt keinen Bock drauf“, Literatur ist „mir wurscht“„nicht mein Flow“.

Ergänzung der „klassischen“ LRS-Fördermaßnahmen durch textbezogene Hilfen

Welche Fördermaßnahmen ergeben sich aus dem beschriebenen Komplex von Werkzeugschwächen und verfehlter Ursachenzuschreibung?

Zunächst ist selbstverständlich eine Bestandsaufnahme der Lese- und Rechtschreibprobleme im Sinn einer eingehenden qualitativen Analyse nötig, daran anschließend gezielte Vermittlung effizienter Lese- und Rechtschreibstrategien. Die Erfahrung in der Arbeit mit Jugendlichen zeigt, dass durch Erläuterung der in weiten Bereichen sehr klaren, ausnahmearmen Strukturen der deutschen Schrift gute Erfolge zu erzielen sind.

Ergänzend ist es notwendig, die Förderung um inhaltsbezogene Hilfen zu ergänzen. Als methodisches Prinzip hat sich dabei die analytische Trennung und bewusste Verbindung der Teilleistungen, die in der schriftlichen Performanz zu erbringen sind, als hilfreich erwiesen: Für Problemanalyse, Schreibplanung, Formulierung und orthografische Umsetzung werden jeweils getrennt Strukturen entwickelt und in der Förderung unter Anleitung zusammengeführt.

In der Hinführung zur Arbeit mit Texten sollen die Schülerinnen und Schüler zunächst von der Erbringung der (zu) komplexen Gesamt-Schreibaufgabe entlastet werden, zum Beispiel durch die folgende moderierende Vorgehensweise:

  1. Inhaltliche Vorbereitung des Aufschreibens
    • Erläuterung unbekannter Wörter/Formulierungen im Text
    • Klärung inhaltlicher Zusammenhänge
  2. Notieren der Ergebnisse in Stichpunkten durch Lehrkraft/Coach
  3. Formulierung von Sätzen zu den Stichpunkten durch die Schülerin/den Schüler
  4. Verknüpfung der Sätze zu einem zusammenhängenden Text durch die Schülerin/den Schüler unter Anleitung, zunächst mündlich
  5. Diktat des Textes durch die Schülerin/den Schüler; Niederschrift durch die Lehrkraft
  6. Diskussion orthografischer Besonderheiten im Text; Rückbezug auf orthografische Regeln
  7. Reinschrift des Textbausteines durch die Schülerin/den Schüler
  8. Speicherung des Textbausteines als Vorbereitung auf Leistungsüberprüfungen

Ist diese Methode einmal mit den Schülern entwickelt und eingeübt, kann die Erstellung von Textbausteinen auf Basis von Stichwörtern selbstständig durchgeführt und für die individualisierte Nachbereitung des Literaturunterrichts genutzt werden, z.B. in Form vorstrukturierter Hausaufgaben.